Transparenz, Aufrichtigkeit und Vertrauen
22/09/22: Documenta 15 in der Krise - was man für die Kommunikation in kritischen Situationen lernen kann.
Das letzte Wochenende der Documenta fifteen steht an
Am 25.9. ist Schluß mit der bundes- und europaweit eigentlich einmaligen Kunstveranstaltung, danach geht´s erst in fünf Jahren wieder von Neuem los - wenn überhaupt! Denn selten wurde eine Documenta so kontrovers diskutiert wie diese. Die Organisation wurde einem Kuratorenteam überlassen, dem Kollektiv Ruangrupa, einer Gruppe Künstler:innen aus Indonesien. Sie wollten besondere Formen der künstlerischen Arbeit einbringen, z.B. das Prinzip des "Lumbung", dazu später mehr. Doch leider unterliefen ihnen anscheinend einige schwerwiegende handwerkliche Fehler, ob aus Absicht oder aus Versehen - darüber und über die Konsequenzen wird seit Wochen heftig medial und öffentlich gestritten. Wir, meine älteste Tochter und ich, Stephan Probst, wollten uns selbst Eindrücke vor Ort verschaffen. Hier kommen unsere Gedanken auf Basis des Besuches und der Lektüre vieler Quellen.
Der Konflikt
Was war passiert? Das Kuratorenkollektiv hat Bilder ausgestellt, in welchen klar und deutlich eindeutig antisemitisch konnotierte Bilder gezeigt und ebensolche Aussagen postuliert wurden. Der Geschäftsführung der Documenta und den Hilfestellern sei dies vorab nicht aufgefallen, so ihre erste Erklärung dazu. Sie unternahmen aber auch nur verspätet Maßnahmen, um die betroffenen Bilder zu entfernen. Und mussten später erneut von Dritten auf weitere hingewiesen werden - sie hatten also versäumt, danach sorgfältig zu prüfen. Das Kuratorenkollektiv reagierte eher verschnupft, wähnte sich missverstanden und erhob seiner- oder ihrerseits den Vorwurf des "Rassismus" ihnen gegenüber. In der Folge gab es viele Artikel in Medien, mit Analysen und Kommentaren, Erklärungen und Gegenerklärungen, es wurden Rücktritte von Verantwortlichen gefordert und vollzogen, bis hin zum sofortigen Abbruch der Veranstaltung mit allen Ausstellungen - schlimmer konnte es kaum kommen.
Der erste Eindruck: Kick-Start of the day
Die Kuratoren bieten morgens Veranstaltungen zur Einstimmung an: "Kurze, 15-minütige Einführungen in die documenta fifteen u.a. mit den Kunstvermittler*innen sobat-sobat, Mitgliedern von ruangrupa, dem Künstlerischen Team, Akteur*innen des Kasseler Ekosistems oder Mitarbeitenden der Partner*innen...". Auf dem Podium treffen sich Vertreter und Urheber strittiger Werke, z.B. von Taring Padi.
Sie sagten deutlich aus: Ihre politischen Ziele stünden allem voran, Kunst und was sie hier zeigten, seien lediglich Instrumente, um jene zu erreichen. Das Publikum vor Ort ist ihnen sehr aufgeschlossen, es gibt keine Widersprüche oder Diskussion. anders als draussen in der medialen Gegenwelt. Einige sprechen nur wenig Englisch oder sind schwer verständlich. Helfen würde, diese Veranstaltungen, in denen sie sich äußern und erklären, aufzuzeichnen. Dann könnte man das Gesagte nachvollziehen, verstehen, was wichtig wäre, wenn man sich um einen Dialog und gegenseitiges Verstehen bemühen möchte. Und es wäre so einfach und ist woanders längst selbstverständlich. Doch so bleibt dieser Auftritt nur ein interner in der eigenen Community, welche die Kurator:innen in ihrem Tun bestätigt, ihnen nichts entgegensetzt oder sie hinterfragt.
Von Freundschaft und "lumbung"
Das führende Prinzip bei der Konzeption und Gestaltung der Documenta sei "lumbung" - die Scheune, das Erntehaus, in welchem man zusammenkäme, sich austausche und voneinander lerne - es wird im als "unverzichtbar" erklärten "Handbuch" der Documenta ausführlich erläutert. Für jedes ihrer Prinzipien nennen die Kuratoren je ein hübsches indonesisches Wort. Über allem postuliert: Freundschaft sei ihnen wichtiger als Kunst, auch in den Führungen wird dies ständig betont. Nur: Dies steht im krassen Gegensatz zu den Konflikten. Und würde daraus nicht umso mehr der Wunsch nach gegenseitigem Verstehen mit entsprechenden Aktionen folgen? Die allerdings vermissten wir sehr - im Vorfeld wie auch vor Ort, dort besonders, auf der Website, in den eigenen Medien und Kanälen.
Mitmachen
Löcher und Verwundungen
Hinweise auf abgehängte Bilder aufgrund "false accusations". Und viele Löcher an den Wänden, in den Räumen und Gebäuden. Sie sieht leer aus, diese Documenta 15.
Wiederholungen und Politik-Kommunikation
Und das, was da ist, wiederholt sich oft, so einige Gestaltungsprinzipien trifft man immer wieder: Zettelsammlungen, Copyart an den Wänden, Schaugrafiken mit Systemskizzen und mehr. Viele Teilausstellungen und Arbeiten sind ganz klar politisch motiviert, zum Beispiel über "la lutte des femmes en Algérie" - spannendes Thema, aber der Bezug zu Kunst ist vage. Oder Ausstellungsteile über Marken und Motive, die heute deutlich anders als zum Zeitpunkt ihres Entstehens interpretiert werden, wie die Sarotti-Figur. Es ist unzweifelhaft wichtig, das aufzuzeigen - aber der künstlerische Gehalt ist recht niedrig und überschaubar. Solche Exponate: Filme, Schautafeln, Flugblätter, Zettelwände, nehmen viel Platz ein.
Beschränktes Bild
Auch die Auswahl scheint sehr beschränkt. Keine Künstler aus Israel, zum Beispiel. In diesem Echoraum hallen nur wenige Stimmen.
Was lernen wir?
- AUFRICHTIGKEIT ist die erste, wichtige Bedingung für eine gute Kommunikation, besonders in einer Krise wie dieser. Wir gehen davon aus, dass alle das, was sie sagen, auch genauso meinen.Beim Kurator:innenkollektiv, dass sie es ernst meinen mit dem Prinzip "Lumbung", der freundlichen Scheune, in der alle zusammenkommen und miteinander etwas gestalten, sich austauschen, voneinander lernen. Bei großen Teilen der Öffentlichkeit, dass sie empört, verstört, entsetzt und verletzt sind über den unbeholfenen und beleidigenden Umgang mit falschen Symbolen, Bildern und Aussagen.
- VERSTEHEN: Ein wichtiges Ziel sollte sein, dem Gegenüber zu zeigen, dass man ihm/ihr proaktiv zuhört und sich ehrlich bemüht, sich hineinzufühlen und zu versetzen und das Gesagte nachzuvollziehen, sowohl rein kognitiv als auch emotional. Das Kurator:innenkollektiv hat dafür sehr viel Zeit und Raum bereits im Vorfeld der Documenta erhalten. Während der Documenta ebenso, aber sind diese Möglichkeiten zum Austausch auch gut wahrgenommen worden? Eher nicht, scheint es.
- TRANSPARENZ: Es muss nachvollziehbar bleiben, was man sagt, wie man kommuniziert, mit wem und wann. Gerade wenn Sprachen, zeichen, Symbole nur schwer verständlich sind für die Gegenüber, ist dies wichtig. Sich zurückzuziehen in seine eigene Höhle, Schale, Community, mag verständlich sein, schadet aber dem Austauschprozess. Diesen Vorwurf müssen sich die Kurator:innen leider machen lassen, denke ich. Sie sprechen mehr mit- und untereinander, aber weniger mit anderen, ziehen sich zurück, verstecken sich.
- VERANTWORTUNG: Wenn man bestimmte Zeichen und Symbole einsetze, ist man als Sender auch dann dafür verantwortlich, wie sie verstanden werden, wenn man sich in einem fremden Kontext bewege, gerade in einer solch wichtigen Funktion und Rolle als Kurator. Das könnte z.B. ich selbst genauso wenig als Verantwortung ablehnen, wenn ich als Deutscher eine Ausstellung in Indonesien gestaltete. Gerade wenn es um "Freundschaft" geht, gilt es umso mehr. Das lassen die Kuratoren hier vermissen. Und die deutschen Verantwortlichen, die Geschäftsführung und andere, welche hier hätten führen und leiten müssen, noch viel mehr.
- EINSICHT und BESSERES VERHALTEN: Jede/r kann Fehler machen, besonders wenn man kommuniziert, muss man immer mit Missverständnissen rechnen. Aber gerade wenn ein Prozess so eskaliert, sind deutliche Zeichen der Einsicht und ein auf dieser Basis geändertes Verhalten überaus wichtig, damit der oder die andere erkennt: es hat sich was geändert. Vor allem: auf die Gegenüber zugehen, mit ihnen gemeinsam ein Verständnis herstellen, also eigentlich das, was das Prinzip "lumbung" ausdrücken sollte. Das genau dies nicht passiert, verschlimmert den Prozess. Hier fehlt es wahrscheinlich an Mediatoren, welche genau hier die Aufgabe des Zusammenführens leisten könnten.
Der verbleibende Eindruck
Auch wenn der Besuch in Kassel alle fünf Jahre zu dieser Gelegenheit durchaus Spaß bereiten kann und es sehr spannend ist, sich mit diesem Konflikt zu beschäftigen: Zurück bleibt der Eindruck einer schwer beschädigten Documenta, welche bis hierhin Leuchtturm-Bedeutung besaß. Um diese Verletzung wieder zu heilen, wird es mehr als nur Worte bedürfen. Die Aktionen währenddessen genügten so nicht.
Der übrig bleibende Eindruck ist vielmehr, dass die Absicht der Kuratoren hinsichtlich des Verstehens ihrer Gastgeber hierfür nicht ausreichend ausgeprägt gewesen sein kann. Dass ihr Verständnis der Zeichen- und Symbolwelt, in welcher sie sich mit ihrem Projekt bewegten, nicht sehr umfangreich war, künstlerisch und handwerklich ihr Vermögen nicht ausreichend: vielleicht können sie es einfach nicht besser? Oder war ihre Absicht insgesamt doch eine andere als die in ihren Prinzipien, Schriften und anderen Äußerungen verlautbarte Botschaft der "Freundschaft": nämlich die der politischen Einflussnahme und Agitation unter dem Deckmantel der Kunst? Dieser Eindruck mit dem oben geschilderten Einstieg legt sich nahe: dass hier eine altehrwürdige Veranstaltung von Aktivisten einfach gekapert worden sei.
Insgesamt ist es alles einfach nur sehr schade, viele verpasste Gelegenheiten.
"Grateful to be in the last Documenta"?
Das wäre fatal. Lieber: Besser machen beim nächsten Mal.
Links
- Weitere Bilder unseres Besuches auf der Documenta fifteen im persönlichen Blog
- Die Website der Documenta fifteen: https://documenta-fifteen.de
- Das Ende sei nah - die Süddeutsche Zeitung zieht Bilanz eines "Weltkunstdebakels"