Wie sich Kommunikation ändert - kommt jetzt die große Transformation?
21/07/21: Kamingespräch im #d2mtalk am 27. Juli um 21:20. Stephan Probst bei Björn Negelmann und als weiteren Gäste Mark Pohlmann und Jan Warp.
Hat sich Kommunikation in den letzten Monaten verändert, insbesondere durch die Pandemie, und wenn ja: wie? Das ist das Thema beim Kamingespräch zum Wandel der Kommunikation im #d2mtalk Marathon am 27. Juli um 21:20, über das Stephan Probst als Gast bei Björn Negelmann mit Mark Pohlmann und Jan Warp spricht. Hier zur Vorbereitung ein paar Gedanken.
Von paradiesischer zu postpandemischer Kommunikation - wie man in der katastrophalen Welt sich verständigen kann
Alles hat sich verändert unter den Bedingungen der Pandemie: das Leben, unsere Arbeit, unsere Art, wie wir miteinander umgehen, wie wir Informationen erhalten, wahrnehmen und auch verarbeiten und selbst mit anderen kommunizieren. Also: Kommunikation kann sich nicht nicht verändert haben. Die Frage ist also eher: wieviel und was hat sich in der Kommunikation verändert, insbesondere mit Medien, und wie wird es sich in Zukunft entwickeln? Wird alles wieder so wie "vorher"? Oder war die Pandemie eher so etwas wie ein "Brandbeschleuniger" für längst fällige Entwicklungen? Oder haben sich dadurch nochmal ganz eigene Impulse und Veränderungen ergeben? Von allem etwas.
Digital ist alles und alles ist digital
Als wir uns alle zurückziehen mussten: Home-Office, Home-School, Home-Whatever und haben wir ja nicht aufgehört zu kommunizieren, sondern eben nur anders, nämlich fast ausschließlich digital.
- Mit den engsten Angehörigen: zu Hause, in der kleinen Höhle.
- Mit den Arbeitskolleg*innen, wenn Homeoffice möglich war: zumeist über digitale Medien, mit neuen Tools, Prozessen und Organisationsformen, gleiches für Home-School.
- Mit dem Rest der Welt: auch über digitale Kanäle, viel über soziale Medien; auch jene, die komplett kaltgestellt waren, nicht wenige.
- Und alle, die noch in ihren vorhandenen Strukturen vor Ort arbeiten konnten: hielten Kontakte zu denen in ihren Höhlen ebenfalls digital.
Sich informieren, unterhalten, einkaufen, bestellen, organisieren und vieles mehr. Was wir brauchten, wurde uns von denen, die schnell schalteten, gebracht. Und viele kapierten: das funktioniert. Gleichzeitig war es in unseren Höhlen einigermaßen warm und sicher, wir waren geschützt, draussen wüteten die Katastrophen, drinnen wir miteinander. Unsere Fenster zur Welt: die kleinen und großen Monitore. Und ein/e jede/r suchte und klickte sich, was er/sie/es so fand.
Die neuen Rezipienten: "digitale Höhlenmenschen"
Na, wie geht´s denn so in der Katastrophen-Welt?
- Die "digitalen Höhlenmenschen": So langsam kriechen wir wieder hinaus aus unseren Höhlen in die Welt, aber die hat sich verändert. Nix ist sicher und sobald wir mal etwas loslassen, werden wir ausch schon wieder eingefangen. Das Virus ist noch lange nicht gezähmt, und nichts ist wieder so wie es mal war, wenn es überhaupt je so kommen wird. Unser Leben ist geprägt von großer Unsicherheit. Unsere Arbeit ebenso: Bei vielen kommen jetzt die Folgewirkungen. Viele Unternehmen haben mit der Situation gerungen, manche sind in erhebliche Schwierigkeiten geraten, einige haben es auch gut meistern können. Für alle, Arbeitnehmer, Angestellte, Arbeitgeber war das letzte Jahr nicht das einfachste. Folgen zeigen sich oft erst mit Verspätung. Für viele ist nichts mehr so, wie es mal war.
Dazu kommen neue Katastrophen: Klima, Flut, Hitze, Stürme und vieles, was uns nur schwer vorhersehbar und beherrschbar scheint, sowohl vom subjektiven Empfinden wie von den Daten und Fakten als reale Information gestützt. Wilde Mächte wüten und wo finden wir vor ihnen Schutz? In kleinen Gemeinschaften, überschaubaren Strukturen, klaren Botschaften. Hier gibt es Raum für starke Führungsfiguren und -Institutionen, für Populisten ist dies das Paradies - je unüberschaubarer und unsicherer die Welt, je subjektiv schwacher die Rezipienten, desto beliebter werden starke "Sender".
Andere "digitale Typen"
- Die "digitalen Wölfe": sie gehen locker mit den neuen Bedingungen um, die Early Adopter, dies ist ihr Revier, sie beherrschen es und alle anderen sind die Beute, die von ihnen gefressen wird. Ihr Paradetyp: Jeff Bezos, Kaiser, Papst und Gottkindkönig des e-Commerce, der eben mal schnell für einen 10-Minuten-Trip ins All rauf beamt, während unten die Massen sich mit der verwüsteten Welt plagen. Fressen anstatt gefressen zu werden - klare Ansage.
- Die "digitalen Winterschläfer": Sie haben einfach nur die Luft angehalten, sind weggedämmert, abgeschaltet. Aus Angst und Verzweiflung, dass die Katastrophe bald vorüber ziehen möge. In Lethargie und Trägheit, weil sie es eh nicht ändern konnten oder wollten. Und jetzt warten sie drauf, dass der Frühling kommt und alles wieder so schön blüht wie früher. Ach, wie wäre das schön! Wird aber nix. Katastrophen werden kommen und zwar auch mal gehen, aber dann kommen eben neue. Die Welt ist Chaos, wir müssen es gestalten.
- Die "digitalen Einzeller": Sie haben gar nichts kapiert. Uralte Telefone, verweigern alle "neuen" Medien (die inzwischen nun echt uralt sind), stecken geblieben in den 80ern & 90ern, als es noch mehr tolle Hits gab. Ihnen wird nicht zu helfen sein.
... und noch ein paar mehr.
Die Inhalte: Botschaften, Bilder und Bedeutungen werden sorgfältig geprüft
Die "Höhlenmenschen" sind in der Mehrheit: Sie haben sich an die Situation angepasst, gelernt, mit den Medien umzugehen. Eine ihrer wichtigen Motivationen ist Angst, oder anders formuliert: sie sind vorsichtig geworden. Weil sie verlieren können. Sie sind erreichbar über digitale Medien aller Art. Aber die Inhalte werden sorgfältig geprüft.
- Sehe und verstehe ich es? Die Sprache, die Bilder, die Bedeutungen dahinter? Wenn nicht, nehme ich es gar nicht erst wahr, denn ich sehe viel zu viel.
- Sind sie relevant? Passen sie in meinen Set, brauche ich das überhaupt, muss ich mich damit beschäftigen? Wenn nicht, wird es gleich aussortiert.
- Stimmt das? Ist es wahr oder falsch? Kann ich das glauben?
- Ist es plausibel? Ist es einleuchtend, kann ich es nachvollziehen?
- Was nützt es mir? Welche Vorteile und Belohnungen kann ich erwarten und ist es das mir wert?
Und für alles verlangen sie BEWEISE.
Die Medien: Kanäle werden diffuser, vielfältiger, Touchpoints noch kleinteiliger
Je mehr kleine Gruppen, Stämme und Rudel sich formieren, desto mehr kleine "digitale Lagerfeuer" entzünden sie, um die sie sich versammeln. Die Aufgabe für die Absender von Botschaften ist es, diese in der digitalen Dämmerung zu finden, zu erkennen und hier aufgenommen und eingeladen zu werden. Dazu müssen sie die Kanäle absuchen, nach Spuren suchen, diese lesen und erkennen können und dann sich anpirschen. Wenn sie das geschafft haben, gilt es die Kontakte zu halten, an allen Touchpoints, auf allen Wegen.
Wichtig sind dabei:
- Kontinuität schaffen: viele Wiederholungen, die richtigen Rythmen finden, um Sicherheit und Verlässlichkeit zu beweisen
- Dialog führen: den Austausch suchen, die Sprache verstehen und sprechen, Bindungen aufbauen, Sympathie und andere Werte vermitteln
- Regeln folgen: Strukturen und Prozesse schaffen, Bedeutungen aufbauen
- Interaktionen verstehen: wer mit wem, wie, auf welchem Wege
- Werte austauschen: wie bei einem alten Tauschhandel, materiell und immateriell
- Das Visier schärfen. Waren es in Zeiten der "echten" Höhlenmenschen die mit den guten Augen, die weit sehen und neue Chancen, aber auch Gefahren entdecken konnten, sind es jetzt die mit den richtigen Tools, den guten Abfragen, den besten Analysen, die weit vorn sind.
Die neuen Absender: was hat sich hier verändert?
Auch die Absender haben sich verändert. In chaotischen Situationen und dem, was daraus folgt, müssen sich alle anpassen, aber einige tun es mehr und andere gar nicht.
- Die "Lügner": Sie erzählen das Blaue vom Himmel, schlagen die ganz große Trommel, aber ob der Regen auch wirklich dann fällt - wer weiß das schon? Sie kommen, versprechen viel und verschwinden schnell. Und haben dann so viel eingesackt, wie sie können. Gerade in der Anfangszeit schlug ihre große Stunde.
- Die "Guten": echt, wirklich, wahrhaftig. Sie überzeugen mit Beweisen, bieten Vorteile, welche tatsächlich zu gebrauchen sind. Jetzt kann ihre Zeit sein, denn die Menschen sind gewarnt, kritisch und fragen nach. Doch es herrscht über vieles auch noch große Unsicherheit, oft mit noch zu wenig Wissen. Überzeugen ist anstrengend, aber es lohnt sich.
- Die "Zauderer": Sie machen erstmal weiter so wie bisher. Wird schon alles "irgendwie" werden, bis dann "irgendwann" gar nichts mehr geht.
- Die "Schiffbrüchigen": Sie sind schon gescheitert. Zu ihnen gesellen sich auch bald die Zauderer, sollten sie nicht noch vorher aufwachen.
- Die "Gar-nix-Macher": Die sitzen einfach alles aus und geniessen den Sommer. Sie haben genug Reserven, Kredite oder anderes, sollen die anderen sich mal anstrengen. Irgendwann fangen sie dann auch an, wahrscheinlich so wie vorher.
Der Druck auf Kommunikation steigt. Die Rolle der Kommunikatioren ändert sich.
Die Aufgabe der Kommunikatioren ist nicht einfacher geworden, ihre Rolle komplexer. Konnte man sich "früher", in präpandemischen" Zeiten, noch dem Glauben hingeben, man formuliere mal so einfach seine Botschaften, wähle seinen Medienmix und ein paar Prisen schöne Bilder, flotte Texte, flinke Programmierung, dann ist das heute definitiv nicht mehr so, sofern man sich zu denen zählt, die etwas gestalten wollen, gut oder böse. Am besten und schnell deutlich messbare Ergebnisse zeigen: Effektivität, Effizienz werden als Erfolgskategorien zusammen mit Agilität im Sinne von hoher Flexibilität und Geschwindigkeit noch wichtiger. Waren sie vorher schon, jetzt überlebenswichtig. Man trägt als Kommunikator noch deutlich mehr Verantwortung für das Unternehmensgeschehen als vorher. Die Gestaltung der Beziehungen nach Innen und nach Außen sind wichtigste Aufgaben, der Kommunikator ist ein Chief Social Officer, der soziale Verhältnisse steuert, den Austausch von Werten und Bedeutungen mit anderen.
- Wir geben Sinn: WARUM?
- Wir setzen Ziele: WOHIN?
- Wir zeigen Wege: WIE?
- Und das geht weit über das bloße WAS und über WELCHEN KANAL hinaus: die Gestaltung von Botschaften und deren Verbreitung über Medien.
Es bleibt also spannend und wird nie langweilig.