Der Handel sei nicht selber schuld - Einspruch!
23/10/2020: Für kreative Händler: Eine konstruktive Replik, damit man was unternehmen kann.
Der Handel sei "unverschuldet" in die Lage gekommen, ...
... dass er nicht mehr aus "der Situation" herauskäme, sagt der Hauptgeschäftsführer des Handelsdachverbandes HDE Stefan Genth. Seine Forderung daher: "... weitere staatliche Hilfen (sind) wirklich wichtig, um Händlern die Möglichkeit zu geben, ihre Produkte künftig verstärkt über verschiedene Kanäle zu offerieren. ..." (Quelle: Innenstadtgipfel: Altmaier will dem darbenden Einzelhandel unter die Arme greifen, Redaktionsnetzwerk Deutschland, 20.10.2020).
So gut wir es auch finden, den Einzelhandel vor Ort auf jede erdenkliche Weise zu unterstützen - aber ist die Ursachenbeschreibung so wirklich richtig? Und was daraus folgt, dann auch?
Wir glauben: Nein, dieser Ansatz ist falsch! Vielmehr: Es gibt kreative Händler! Und sie verdienen jede Unterstützung! Aber anders. Hier unsere Gedanken dazu.
"Unverschuldet" in die Krise geraten - ist das so wirklich richtig?
Seit mehr als einem halben Jahr haben wir Corona-Krise. Und so ist die Situation jetzt.
1. Die Innenstädte sterben aus.
- Große Handelsunternehmen geben ihre Häuser auf. Attraktionspunkte fehlen. Was früher ein Standortvorteil war: die gute Lage in der Innenstadt, ist heute ein Klotz ein Bein. Hat die städtische Führung gute Antworten? In Hannover heißt es: "autofreie Innenstädte" (was eine gute Idee sein könnte, würde sie denn zumindest gut vermittelt, dazu unten mehr). Die Revitalisierung der Innenstädte ist eine Aufgabe, die dringend angegangen werden muss.
2. Die Kunden bleiben zu Hause.
- Und dort richten sie sich ein. Die Welt wird über Bildschirme betrachtet. Nach draussen geht man nur noch, wenn es dringend nötig ist. Das bestätigt z.B. die Herbsterhebung des Havas Media Corona Monitor, 2020, in Horizont: "Verbraucher richten sich im New Normal ein", 20.10.2020
3. Die großen Gewinner der Krise sind: Die Online-Unternehmen.
- ... also: alle Unternehmen, die online verkaufen und mit den entsprechenden Maßnahmen flankieren, um ihre Produkte an die Frau, den Mann, die Kinder, an alle zu bringen. (Hierfür gibt´s viele Quellen, ein Beispiel: Handelsblatt vom 21.10.20 über das eCommerce-Wachstum bei Nestlé)
Wer jetzt noch nicht gemerkt hat, dass er oder sie was tun muss, dem ist schwer zu helfen. Also: Was passiert?
Der Handel verschläft seine Chancen.
Viel zu viele Händler schimpfen immer noch auf das Internet und den Online-Wettbewerb. Das ist die falsche Haltung. Vielmehr: Sie müssen besser sein als der Wettbewerb und als sie jetzt sind, Chancen erkennen und für sich nutzen.
Stattdessen: Was soll bitte "systemrelevant" sein?
"Relevant" für ein "System", dessen Menschen und Organisationen, ist nur, wer etwas Besonderes zu bieten hat. Und nicht wer laut nach Hilfe schreit. Ja, ein System muss seinen Schwachen helfen. Aber sind damit Händler gemeint? Müsste nicht gerade jetzt der Handel besonders sich anpassen und damit zum Treiber der Veränderung werden? Diejenigen, denen die Veränderung am besten gelingt, werden überleben. Denn irgendwann wird die Kasse leer sein und jetzt müssen wir daran denken, sie bald wieder zu füllen.
Es geht nicht um Digitalisierung. Sondern um Nähe zu den Kunden.
Wichtig ist, wie man mit seinen Kunden spricht, in jedem Sinne und auch digital, und dabei ständig erfährt, was sie brauchen und wünschen. Das ist es, was Händler wie Amazon derzeit einfach besser machen! Digital ist dabei nur ein Hilfsmittel.
Back to the roots
Im Mittelalter schnürten die Händler ihre Waren auf Esel und Karren und zogen los von Dorf zu Dorf. Weil die Kunden nicht zu ihnen kommen konnten, gingen sie zu den Kunden. Heute dagegen? Sitzen viele, nicht alle, in ihren schmucken Geschäften. Und sie wundern und grämen sich, warum keiner kommt.
Was brauchen Händlerinnen und Händler? Kunden. Und Ware, die diese wünschen und die sie/er ihnen bringen kann. Dazu Wege und die passenden Transportmittel. Quellen. Lager. Wenn die Kunden zu ihr/ihm kommen können, einen Standort, aber nur dann! Wenn die Kunden aber nicht kommen können, so wie jetzt: dann fährt man als Händler zu ihnen hin.
Was ist zu tun? Strategische Anleitung.
Wo sind die Kunden? An den großen und kleinen Bildschirmen. Also muss man da hin.
1. Digitale + gute Präsenz ist die absolute Voraussetzung!
- In allen Formaten! Wer jetzt noch keine hat, bekommt mit der 2ten Welle ein Riesenproblem. Und auch danach wird die Welt keine groß andere sein.
2. Die Kunden haben Zeit, machen sich Gedanken, haben Sorgen und Nöte.
- Sprecht mit ihnen! Schickt ihnen Mails. Knüpft Kontakte. Neudeutsch: Baut eine Community, eine Gemeinschaft. Ja, das geht auch digital! Denn was wirklich zählt, sind Nähe und Kontakt.
3. Die Produkte und Leistungen müssen passen.
- Ein sehr guter Händler und Freund, ein Comichändler (natürlich), sagt mir: "Ich muss mit meinen Kunden mitwachsen. Wenn sie Hello-Kitty-Bettwäsche für Babies wünschen (statt oder zusätzlich zu Comics), kriegen sie die auch von mir." Recht hat er.
4. Eine gute Website ist wie ein gutes Gespräch aufgebaut.
- Eine einfache Idee, eigentlich. Wird nur sehr wenig umgesetzt. Gerade nicht im Handel. Schade.
5. Die Ware muss raus zu den Kunden. Nicht umgekehrt.
- Logistik und Transport sind wichtige Schlüsselfaktoren. Aber die könnt ihr lösen! Denn nicht Jeff Bezos von Amazon ist nah bei den Kunden, sondern ihr seid es, die direkt vor Ort sind, liebe lokale Händler! Wenn Amazon in 24 Stunden liefert, müsst ihr es in 4 Stunden oder noch weniger schaffen.
Darüber denken andere längst nach: Der große Onlinehändler AboutYou plant, die Lieferzeiten auf unter 90 Minuten zu senken! Dafür will er lokale Lieferstationen einsetzen - das wird dann die Alternative zum lokalen Handel. (Quelle: Handelsblatt, 13.12.2019)
Ein Beispiel
Meine lokalen, supersympathischen Comichändlerinnen COMIX hier in Hannover lieferten zu Beginn der Corona-Krise ihre Comics am gleichen Tag ruckizucki nach Bestellung aus. Was ich bekam:
- Comics für meinen (damals kranken) Sohn. Der wurde natürlich so sehr viel schneller gesund.
- Besuch vom Lieferboy oder -girl mit einem freundlichen Lächeln und etwas Zeit für einen kurzen Schnack. Gut in Krisenzeiten. Wärmte die Seele.
- Kleine Aufmerksamkeit anbei: Papierrolle mit lustigem Spruch drauf. Und ein Briefchen zum Erinnern: so kaufte ich dann gleich noch mehrere Male.
- Eine Rechnung. Und die Comichändlerinnen hatten gleich neuen Umsatz.
Dafür erforderlich war nur, dass man in ihrem Onlineshop bestellen konnte und das allein zählte.
Gedanken zu aktuellen Aktionen
Gesponsorte Plattformen, #gemeinsamirgendwas
Eine große neue Plattform ist eine neue Marke, die eingeführt und aufgebaut werden muss. Das braucht Budget und Zeit, was diese Plattformen meistens nicht haben. Daher besteht die Befürchtung, das hier meist politisch motivierter Aktionismus vorn steht. Das heißt: Die Aktion darf nicht nur mehr dem Politiker auf dem Foto nutzen, als den armen Händlern an seiner Seite.
Mehr Fessel als Erlösung - gesponsorte Strukturen binden die Händler.
Unsere Erfahrung zeigt uns: Jeder Händler ist anders oder will es zumindest sein. Und das ist auch gut so.
- Nur einiges kann man standardisieren: WWS, Bestell- und andere Vorgänge. Aber: es braucht Platz für individuelle Lösungen. Und das bieten Standardplattformen oft nicht in ausreichendem Maße. Und schon gar nicht bei schnell hochgezogenen Plattformen.
- Besser: Standards als Basis nehmen, die Individualisierung oben drauf. Das bietet der Händlerin, dem Händler die Möglichkeit der freien Entwicklung. Und spart ihr/ihm Zeit, die später fehlt. Ehrlich gesagt: jeder Tag, jeder Monat zählt.
Auch wenn die Zeiten hart sind: Emotionen sind trotzdem und gerade jetzt wichtig.
Rein technische Lösungen haben in manchen Fällen ihre Berechtigung. Aber sie reichen nicht. Denn damit sehen alle gleich aus. Marke und Emotion sind wichtig: a) zur Differenzierung und Wiedererkennung; b) zur Ansprache und Bindung. Denn es sind nicht nur die Produkte, die man als Händler seinem Kunden gerade in schwierigen Zeiten zur Beruhigung mitgeben kann.
SEO ist wichtig. Aber nicht nur.
Alle Wege müssen zum Kunden führen. SEO, die Optimierung für Suchmaschinen, ist ein Teil davon. Wichtig ist, dass Kunden a) auf den Händler aufmerksam werden, b) bleiben. Und dafür muss ich sie entsprechend a) erreichen und b) behandeln. Auf allen Wegen und nicht ausschließlich, aber eben besonders digital. Über soziale Medien, alle Arten von Nachrichten und Infos, direkte Wege, Empfehlungen, Gemeinschaft bilden, kleine Geschenke und vieles mehr ... >>> für eine Liste, um die unendlichen Möglichkeiten zu entdecken, bitte eine Mail an pole-position[at]drive.eu
Ist der Handel nun wirklich selber schuld? Oder doch nicht?
In dem Sinne, dass der Handel natürlich nicht die Corona-Pandemie verschuldet hat, ist "er" selbstverständlich NICHT schuld, also: "unverschuldet in diese Situation" geraten, wie alle anderen auch. Aber nur in diesem Sinne!
Leider ist es eben so, dass diese Krise Versäumnisse aufzeigt, auf Maßnahmen weist, die bisher unterlassen worden sind und selbst jetzt noch nicht konsequent angegangen werden, siehe unsere Beispiele oben. Und das ist sehr schade, weil es einfach wäre, das zu ändern, und es dafür Angebote und Lösungen gibt. Wir alle, Händler, Produzierende, Unternehmen, Dienstleister, Agenturen, müssen uns ständig hinterfragen und überlegen, was wir neu, anders, besser bewegen, ändern und unternehmen können.
Und zur Forderung nach staatlichen Hilfen: sie seien jedem gegönnt und haben eine wichtige Funktion: Sie können Leben retten. Aber schon bald werden die Kassen sehr, sehr leer sein. Viel wichtiger ist es, die richtigen Rahmenbedingungen, Impulse, Anreize zu setzen und dabei Hemmnisse und Hürden abzubauen. Damit Händler und alle anderen, die gestalten wollen und müssen, es auch können und dürfen.
("Autofreie Innenstadt" ist als Idee very nice. Aber damit lockt man doch niemanden an! Ohne Konzept, WARUM jemand überhaupt und egal wie in die Innenstadt fahren sollte, bleibt diese Idee ziel- und damit sinnlos. So sind die Innenstädte bald von alleine auto- und auch menschenfrei.)
In diesem Sinne: Anpacken! Und gern anrufen: 0173-3691189.