Jugendmedienschutz: Handy & Soziale Medien für <16jährige? Warum nicht erst ab 18?

Digital toben Schlachten, auch um Kinderköpfe. Social Media Konzerne rüsten auf - aber sind Kinder überhaupt vorbereitet und ausreichend geschützt?

Meine Frau und ich haben vier Kinder. Als Digitale der ersten Stunden, studierte Medienwissenschaftler*innen, Medienschaffende und -kreative  sind wir aufgeschlossen für frühzeitige Medienbildung und fördern  verantwortungsvolles Lernen und Üben mit digitalen Medien, auch bei unseren eigenen Kindern. Natürlich wollen sie möglichst schnell selbstständig agieren, entscheiden und dazu gehört auch: digitale und besonders soziale Medien nutzen und einsetzen. Aber ist das zeitgemäß, immer und uneingeschränkt richtig? 

Was für frühzeitigen Umgang von Kindern mit digitalen Medien spricht

  • Kinder lernen früh selbstständig und eigenverantwortlich mit Medien umzugehen. Leicht, spielerisch erwerben sie Fähigkeiten, die ihnen später auch bei anderen Herausforderungen helfen: erst entdecken, dann ausprobieren, später lernen und schließlich beherrschen.
  • Im Umgang mit A.I. sehen wir das gut: Viele junge Menschen, wie z.B. unsere älteren Kinder, gehen einfach und selbstverständlich damit um, setzen es effizient für Analyse und Recherche ein. Gleichzeitig hinterfragen sie kritisch. Im Klartext: sie glauben nicht jeden Quatsch, den ihnen ChatGPT auftischt. Jedenfalls wollen sie nicht lange durch Google scrollen, das Medium ihrer Vorfahren, dazu haben sie weder Zeit noch Lust.

Klingt wie eine romantische Vorstellung? So hat es  in der Vergangenheit bei allen anderen Einführungen neuer Medien auch funktioniert: als TV das Radio ablöste,  Privatfernsehen die öffentlich-rechtlichen Sender  und davor.  Junge adaptieren früher, besser, schneller als Alte, während jene Zeter und Mordio schimpfen, nutzen die anderen mit Lust, Freude und Gewinn - im Prinzip also nix Neues.

Und was spricht dagegen?

Die neue digitale Schule - das Experiment begleiten wir live an den Schulen unserer jüngeren Kinder.

  • Alle Kinder haben Tablets: “Hurra!”, dachten wir. Endlich keine kiloschweren Rucksäcke mehr, die morgens ihre Rücken auf dem Weg zur Schule beugen. Doch leider schleppen sie immer noch schwere Bücher, denn auf die wollen  Schule und Lehrerschaft nicht verzichten.
  • Zwar erleichtern die Tablets manches im Unterricht: statt Arbeitspapieren werden digitale Dokumente  erstellt, verteilt, abgelegt, diskutiert und korrigiert. Doch Nachrichten an die Eltern werden  nach wie vor analog erstellt und über Postmappen und Lehrplaner verteilt.  

Die Idee des digitalen Lehrens und Lernens ist also  im Ansatz ok. Man bekommt eine Ahnung, wie digitaler Unterricht aussehen könnte - mehr aber auch nicht. In anderen Ländern haben wir das sehr viel weitreichender erlebt, z.B. im internationalen Schulunterricht.

  • Schlimmer jedoch: Die Tablets sind nicht ansatzweise ausreichend abgesichert! Die Kinder können sich selbstständig IDs auf den Geräten erstellen und damit downloaden und installieren, was sie wollen. Das ist zwar gegen die  Vorschriften, aber die Kids sind ja nicht blöd: Es geht, also wird´s gemacht.
  • Wie´s richtig wäre:  ALLES zu unternehmen, um Tablets  gegen jeden ungewollten Eingriff abzusichern. Wenn wir als Digitalagenturler Tablets und Rechner für Museen, Messen und Events einrichten, dann  sperren wir jeden Zugriff auf Einstellungen und Betriebssystem und schotten die Geräte möglichst komplett ab. Das passiert hier nicht. 

Was also im Unterricht passiert, ist schlimmstenfalls dies: Während vorn die Lehrenden meinen, digital zu unterrichten, vergnügen sich hinten die Kinder mit Game-Apps, WhatsApp, SnapChat und sonst was, auf ihren Schultablets. 

Offene Schleusen - freies Internet in den Schulen

Selbst in den Grundschulen sind viele Kinder mit dem Handy unterwegs. Das hat ja  was Gutes: Wenn - oft - Unterricht ausfällt und sie unvermittelt nach Hause entlassen werden, können sie ihre  berufstätigen Eltern rechtzeitig informieren, damit diese sie in Empfang nehmen. 

  • Nur: mit diesen Geräten haben die Kinder permanent und besonders während der Pausen Zugang zu wirklich ALLEN Inhalten, die es im Internet gibt - OHNE jede Kontrolle.  Schön wär´s natürlich,  sie würden einzig auf die vielen gut gemeinten Kinder- und Jugensites und -apps gehen. Nur sind viele andere Angebote  verlockender, eben auch härteste Gewalt- und Pornosites.  Und die Kinder sind ansprechbar, offen und damit ungeschützt für alle, jedem oder jeder erreich- und beeinflussbar.

Hier gibt es keinen Jugendmedienschutz wie in klassischen Medien, keine staatliche oder andere Form öffentlicher Kontrolle der vielen Inhalte. Oder Dämpfungen des Empfangs, so wie in anderen öffentlichen Gebäuden.  

Social Media und Teenager im digitalen Dauerwachkoma

Die sozialen Medienkonzerne rüsten technologisch auf. Frage ist: Sind die Kinder dem gewachsen? Denn die Mechanismen der neuen  Kanäle wie z.B. TikTok sind  sehr effektiv angelegt: 

  • Alles, was die Kinder auf einem mittleren Aktivierungslevel hält wird ihnen angeboten, nicht zu stark und nicht zu schwach,  bewegt mit Audio und Video.
  • Es wird nach Sichtungsdauer notiert, klassifiziert, verglichen, individuell zugeordnet und immer wieder neu mit bewegtem und bewegendem Content angereichert.
  • Kurze, schnelle Clips: lustig - aber nicht zu sehr. Spannend und aufregend - but not too much.
  • Wohlig emotional, mit Musik, Herz und ein ganz klein wenig Schmerz - so erleben Kinder heute ihre neuen und die eigenen Abenteuer ihrer Generation. 

Das hält die Nutzer*innen bei der Stange, so dass sie diese nicht mehr loslassen mögen. 

Facebook ist verglichen damit ein geradezu  intellektuell anregendes Medium. Hier wird  immerhin noch ein bisschen geschrieben und nicht ausschließlich Content mit AI-generierten Voices (in  Landessprache, schnell & billig), einfachsten Zeichencodes, mit gefühliger Musik und simplen Videostimuli: Sex, Katzen, Hunde, Gewalt, andere Tieren, Schreckbildern  undsoweiter kreiert.

Kinderhölle Klassenchat in WhatsApp - wo Kinder zu Bestien werden

Wer hat schon mal einen WhatsApp-Klassenchat besucht? Das ist die Hölle. 

Härteste Beschimpfungen der Kinder untereinander, Mobbing, Ausgrenzung, Beleidigungen, Prügeldrohungen, Kriegserklärungen, Bestrafungen sind hier die Normalfälle. Keinerlei Impulskontrollen, durch die Kinder selbst oder Erwachsene schon gar nicht. Die Rechtschreibhilfe wird weggedrückt, der Wille zu zivilisierten Umgangsformen bleibt gänzlich ausgeschaltet. 

Selbst die eigenen Kinder  gebärden sich hier wie Bestien. Schärfer und härter beleidigen, schneller abdrücken - das sind Sozialtechniken, die  hier gefordert sind. William Goldings “Lord of the Flies”  grüßt von hinten aus dem Dickicht. 

Das Handy: Der direkte Draht zur dunklen Seite der Macht

Über diese Kanäle kommunizieren die Kinder auch mit völlig Fremden. Die ihnen mit einfachen, aber ausgefeilten Techniken alles und jedes versprechen, auf- und abschwatzen. Das Problem vieler, wenn nicht der meisten Kinder und Jugendlichen dabei ist, dass sie oft noch über keinerlei Abwehrtechniken verfügen, geschweige denn, dass sie  Situationen, in denen sie diese bräuchten,  erkennen können. 

Woher auch und von wem? Lehrer*innen, Eltern oder andere Leitfiguren  kennen diese Erlebniswelten meist gar nicht oder schotten sich  von ihnen ab. Viele Kinder bleiben  alleingelassen inmitten der Flut übler Inhalte, die auf sie einschwallt. Gute Medienausbildung? Letztlich ein Ergebnis puren Zufalls und eventueller anderer positiver Einflüsse. 

 

Die Lösung für uns als Eltern: Handy und Tablets weg. Komplett!

Wie haben wir als Eltern das Thema bei uns gelöst? Komplett alle digitalen Geräte entfernt: Handy, Tablets, alles. Nur noch ab und zu ein paar Folgen einer Serie unter Aufsicht im Familienwohnzimmer schauen.

Das Ergebnis: Erstmal ein maulendes Kind. Aber dann: Malen, Hausaufgaben machen, bessere Noten, Sport - das alles gibt´s auf einmal wieder. Das Kind spricht mit uns und mit seinen Geschwistern.  Langeweile führt zu neuen Einfällen, was man sonst so machen könne. 

Das soll jetzt so bleiben. Bis zum 18ten Geburtstag - … mal seh´n. 

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