Spontan. Ungekünstelt. Authentischer? BeReal!
20/09/24: BeReal verspricht viel - kann die Social Media-App das auch leisten?
Nur der x-te Social Media-Hype oder ist da mehr hinter? Ein Kanal mit Botschaft: echt, authentisch, unverstellt und daher "wahr" soll das Leben abgebildet werden! BeReal formuliert hohe Ansprüche. Doch kann und hält sie auch wirklich, was sie verspricht? Wir nehmen das heiße Social Media-Ding mal unter die Lupe.
Dich nervt das Künstliche bei Social Media? BeReal will anders sein, nämlich "echt" und "war"
Geht´s dir auch so? Social Media kann manchmal ganz schön nerven. All die angeblichen Celebrities mit falschen Reichweiten, hochgepushten Clicks und lauter Fake-Followern. Und dazu bekommt man von ihnen entweder schlecht inszenierte Videos mit aufgepumpten, gespritzten, geplusterten Gerne-wichtig-Menschen oder Sachen, über die man nicht sprechen und die man noch weniger sehen will. Von peinlich infantil bis nicht nur schlecht gemacht sondern auch noch schlecht gemeint - Social Media-Kanäle und die dort gespielten "Beiträge" bilden nicht die Realität ab, sondern fügen der Medienerlebniswirklichkeit viel Unnützes hinzu, vor dem wir uns zunehmend mehr abschotten möchten.
BeReal = 2 Minuten, um dein Leben "echt" zu zeigen
Jetzt tritt BeReal an und möchte all dies deutlich besser machen, neue Qualitäten bieten: Hier soll, aber jetzt "in echt", die Realität gezeigt werden, wie sie "wirklich" sei. Wirklich? BeReal will DIE neue SM-App sein: Die Zielgruppe GenZ soll sich hier täglich tummeln, zeigen, was sie in einem bestimmten Moment gerade tun, ohne Vorbereitungs- und Inszenierungsfenster, sondern direkt, sofort und damit: "in echt"! Als User bekommst du eine Nachricht: "Du hast zwei Minuten. Poste, was du jetzt gerade tust!" Du weißt nicht, wann die Aufforderung kommt, wo du dann gerade sein und was du tun wirst. Du hast keine Zeit zur nachträglichen Bearbeitung. Ergo: Das könnte also "echter" werden als deine anderen Social Media-Postings, wenn du mit mehreren Tagen Vorbereitung und viel, viel Nachbearbeitung postest.
Auch BeReal braucht Reichweite
Denn wie alle kann diese App nicht vom guten Willen aller allein getragen werden, sondern auch sie braucht Geld, für Technik, Betrieb, Investoren und was sonst so anfällt. Das gibt´s nur gegen Reichweite. Und um die zu kriegen werden z.B. die User:innen animiert Grimassen zu ziehen, damit die Bildchen = die BeReals lustig werden, sich gegenseitig mit Grimassen wieder kommentieren, also alles tun, damit es auch spontan, uninszeniert und damit "authentisch" wirkt, was ja ein Widerspruch in sich ist. Aber immer lustig und hoffentlich auch jung, kurz vorm Abkippen ins komplett Infantile.
UX - hier gibt´s noch Luft nach oben
... und das kann für eine solche App auch zum Problem werden. Wo bin ich und wie bekomme ich mehr Publikum für meine kleine Selbstinszenierungsstücke? Dafür ist die Usability bei BeReal noch nicht einfach und selbsterklärend genug.
Schön ist die Kalenderfunktion. Wenn man fleissig ist und sein tägliches BeReal postet, bekommt man eine schöne Übersicht, was man wie und wann mit seinem Social Media-gespiegelten Leben so real denn angestellt hat: Wo war ich da und welche Grimassen haben meine Freunde und ich dann gezogen?
Wer alles mitmacht bei BeReal
Die üblichen Verdächtigen sind unterwegs, z.B.:
- Die sich´s leisten können: Das ZDF erfüllt seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag auch hier, z.B. während der Olympischen Spiele in Paris mit täglichen Shots + Kommentaren der diensthabenden Jungreporterin.
- Die Sowieso-viel-Poster, die das auch gut können: Die Profi-Posierer & -Fußballer von Paris Saint Germain. Mit nur ein paar Stunden Training am Tag haben sie viel Zeit für neue Spielereien und unterhalten ihre Fans sowieso sehr gern. Lustige Grimassen kriegen sie aus dem Stand locker hin.
- Die jung sind, das witzig finden und endlich mal was Echtes suchen: meine Teenage- und erwachsenen Töchter, ihre Freund:innen und überhaupt deren ganze Community.
Andere wie z.B. Ältere sind (mal wieder) super skeptisch: "Wer braucht denn das noch?" und "Haben wir nicht eh schon viel zu viele Social Media Apps?". Nein, haben wir noch immer nicht.
BeReal - der Rising Star
Es gibt eh immer mehr Social Media Apps. Warum? Weil damit Geld verdient werden kann. Weil junge Menschen ihre eigenen Nischen suchen, aufbauen und neue Kanäle erfinden, in denen erstmal nur sie kommunizieren können. Die ihnen neue, bessere Vorteile bieten, welche den alten Angeboten fehlen und weil die dann einfach doof sind oder bald werden, zumindest für sie. Und weil das mit allen Medien eben so läuft: sie entstehen, steigen auf, verglühen langsam oder stürzen schnell ab. Diese App hat seit ihrem Start in 2020 immerhin einiges erreichen können:
- BeReal gibt an, 40 Millionen aktive User:innen in Europa, USA, Japan anzusprechen,
- davon 70% 18- bis 27jährige,
- mit hoher Aktivitätsquote, nämlich 70% der User:innen, die täglich aktiv posten,
- und 60%, die im Moment der Notifikation täglich auch etwas posten, das ist nicht schlecht!
Erstes Fazit: jung, spannend, lustig, Grimasse
Ja, BeReal macht wirklich Spaß! Durch die Notification, von der du nicht weißt, wann sie kommt, aber dass sie für dich und alle anderen gleichzeitig da ist, entstehen Überraschung, Zusammengehörigkeit und Kommunikation: was hast du denn jetzt gerade gemacht? Und wir sind alle lustig, weil die verzerrten Grimassen tatsächlich witzig aussehen.
Ob BeReal den Härten des Alltags, des erwachsenen Lebens mit aller Unbill, wenn´s mal wirklich ernst und eben "real" wird, auch gewachsen ist - das muss sich zeigen. Für ernste Botschaften gibt es hier noch keine erprobten Publikationsformen. Aber wenn alles schön bunt sein soll - dann ist BeReal gerade richtig.
Intellektuelle Tiefe darf man hier nicht erwarten, bisher jedenfalls. Es ist vorrangig visuell, nicht mal die ZDF-Dame schafft ein paar wichtige Wörter in ihre BeReals rein. Aber dafür ist es ja auch "echt", also genau eben jetzt entstanden. Was soll man in zwei Minuten auch an großen Gedanken schaffen?
Den eigenen Authentizitätsanspruch wird auch BeReal bald nicht mehr erfüllen können, allein schon aufgrund der Grimmasierungsorder. Tatsächlich steigt damit nur der Anspruch an Professionalisierung für die BeReal-Poser: Du musst einfach sehr schnell sehr gut sein. Das hat viel von Improvisationstheater, und die dafür erforderlichen Techniken zur Selbstinszenierung verbreiten sich sehr schnell in der hierfür immens schnell lernfähigen Zielgruppe.
Ach ja: Und rechtlich ist das natürlich auch alles nicht ansatzweise einwandfrei. Jeder posiert, knipst und postet überall irgendwen und irgendwas. Ohne Rücksicht auf fremde Rechte am eigenen Bild, den gezeigten Motiven, Objekten, Orten und allem anderen. Aber haben wir uns da nicht längst alle dran gewöhnt und schert das noch wen? Sollte es aber.
Für wen ist´s geeignet?
Für alle, die schnell vorn und als erste unterwegs sein und kommunizieren wollen. Die gern experimentieren, mit wenig Aufwand, Tamtam und im Vergleich recht einfach.
Für junge, die da kommunizieren wollen, wo sie andere junge treffen können. Und nur die.
Für alle, die gern beweisen möchten, dass alles, was sie woanders behaupten, auch tatsächlich "real" ist, so wie sie selbst eben auch.